Wer sich mit dem Thema «Sterbehilfe»[1] im weitesten Sinn befasst, wer in Gerichten, im Gesundheitswesen, in der Politik, in der öffentlichen Diskussion oder im privaten Umfeld damit zu tun hat, sich dazu äussert oder gar Entscheidungen trifft, sollte dieses Buch gelesen haben. Es zeigt die Wirklichkeit der «Sterbehilfe», wie wir sie aus den Medien in der Regel nicht erfahren. Belgische Ärzte und Pflegende, Philosophen und Ethiker berichten von ihren persönlichen Erfahrungen aus einer Gesellschaft, in der „Euthanasie“ vor 20 Jahren legalisiert wurde. «Euthanasie» ist heute in Belgien Normalität. Im Jahr 2021 starb dort jeder 40ste[2] durch «Sterbehilfe», meist durch die Hand eines Arztes. Wer Tötung auf Verlangen nicht für einen „guten Tod“ hält, gerät unter Rechtfertigungsdruck. Das vorliegende Buch gibt einen Eindruck, welche Richtung eine gesellschaftliche Entwicklung nimmt, wenn der Staat das Recht seiner Bürger auf den Schutz ihres Lebens aufhebt. In vielen der Beiträge wird auch deutlich, wie wenig «Sterbehilfe» mit Autonomie[3] zu tun hat. Die Autoren zeigen auf, was passiert, wenn «Sterbehilfe» Einzug in die Institutionen des Gesundheitswesens hält und was es für Auswirkungen auf die Palliativmedizin hat, wenn sie sich der «Sterbehilfe» öffnet, Bestrebungen, wie sie auch in der Schweiz im Gange sind. Den mutigen Autoren dieses Buches gebührt Hochachtung und Dank. Sie lassen den Leser an ihren Erfahrungen mit Menschen in körperlichen und psychischen Grenzsituationen teilhaben, die sie unter der Erschwernis der belgischen Euthanasiegesetzgebung behandeln und begleiten. Anhand vieler Fallbeispiele zeigen sie auf, in welche Nöte und Schwierigkeiten diese Menschen geraten können und beschreiben dabei hochdifferenziert, jeder auf seine Art, was es braucht, dass die Medizin ihre Mitmenschlichkeit nicht verliert:  sich menschlich mit dem Leidenden verbinden, die Schwierigkeiten genau erfassen, in die die veränderte Lebenssituation den Erkrankten versetzt hat, und die Möglichkeiten suchen, sich mit dem Leidenden gemeinsam einer Lösung anzunähern. Gerade auch dann, wenn die kurativen medizinischen Möglichkeiten begrenzt sind und der Tod nahe bevorsteht, den letzten Weg gemeinsam zu gehen und für den Sterbenden da zu sein. Eindrucksvoll führen sie vor Augen, welche tiefgreifenden Entwicklungen für Patienten, aber auch für die Betreuenden und die Familien am Lebensende noch möglich werden können. Aber auch, was eine sogenannt «selbstbestimmte» Tötung für alle Beteiligten an nicht wiedergutzumachender seelischer Belastung bedeutet. Dem Leser wird bewusst, welch tiefgreifender Einschnitt erfolgt, wenn «Sterbehilfe» in einem Land Einzug hält, in seine Institutionen, in den Alltag, wenn man als «einfache Lösung» den Leidenden beseitigt, statt sich des Leidens einfühlsam und fachkundig anzunehmen. Es wird deutlich, wie die schiefe Ebene, die ‚slippery slope‘, heute in Europa bereits bittere Realität geworden ist und die «Sterbehilfe» fast keine Grenzen mehr kennt. Ähnliche Entwicklungen wie in Belgien beobachten wir auch in der Schweiz. Den assistierten Suizid trennt nur wenig von der Tötung auf Verlangen. Der innere Vorgang bei den Akteuren, nämlich den Lebenswert des anderen Menschen ab einem gewissen Zeitpunkt zu verneinen, die Hoffnung aufzugeben und die menschliche Hilfeleistung abzubrechen, ist derselbe. Das Ergebnis auch.

Die Autoren des Buches «Sterbehilfe in Belgien», Ärzte und Pflegende aus Berufung, zeigen auf, dass es auch andere Wege gibt. Viele engagierte Fachleute in unseren Gesundheitsinstitutionen könnten das ebenfalls tun oder tun es bereits.

Gesetze sind dafür da, die Grenzen des Zusammenlebens der Menschen zu regeln. Im demokratischen Rechtsstaat ist ihre oberste Aufgabe, das Leben der Bewohner zu schützen und ihre Sicherheit zu gewährleisten. Wenn sie das nicht mehr tun, können die Bürger sie auch wieder ändern.

Die Hippokratische Gesellschaft Schweiz hat sich dafür eingesetzt, dass dieses wichtige Buch auch im deutschsprachigen Raum zugänglich gemacht wird und bei der Übersetzung mitgewirkt. Wir danken allen, die bei der Übersetzung und Veröffentlichung mitgeholfen haben für das grosse Engagement.

[1] In Belgien wird das Wort «Euthanasie» verwendet, was dort mit Tötung auf Verlangen gleichgesetzt wird. In der Übersetzung ist im Begriff «Sterbehilfe» der assistierte Suizid miteingeschlossen.

[2] Institut Européen de Bioéthique, L’euthanasie, 20 ans après, Pour une véritable évaluation de la loi belge, Mai 2022, https://www.ieb-eib.org/fr/dossier/fin-de-vie/euthanasie-et-suicide-assiste/l-euthanasie-20-ans-apres-pour-une-veritable-evaluation-de-la-loi-belge-571.html

[3] Siehe hierzu den umfassenden Artikel Klesse, R., Teising, M., Lewitzka, U. et al. (2022) «Autonomie und assistierter Suizid – ein Widerspruch?», Psycho-Sozial 3/22, Psycho-Sozial-Verlag, Giessen

ISBN 978-3-8379-3165-5 (print) ISBN 978-3-8379-7893-3 (E-book-pdf)